Wir sind uns gewohnt, dass jederzeit ausreichend Strom zur Verfügung steht. Doch was, wenn dem nicht so wäre? Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigen würde und wir eine sogenannte Strommangellage hätten? Gemäss Bund ist die Gefahr einer Strommangellage real. Die Schweiz bereitet sich deshalb auf ein solches Szenario vor. Wie sie das tut, fragten wir bei Michael Frank, Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), nach.
Michael Frank (58) ist seit 2011 Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Er ist Fürsprecher und verfügt über eine breite berufliche Erfahrung in der Elektrizitätswirtschaft und in sich liberalisierenden Märkten. Zuletzt war Michael Frank Leiter Regulatory Management bei der Axpo AG. Davor war er während mehrerer Jahre als Leiter Regulatory Affairs bei Swisscom Fixnet AG und als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Kommunikation tätig.
Herr Frank, Wie bereitet sich die Schweiz auf eine Strommangellage vor?
Der Bundesrat hat den VSE über die wirtschaftliche Landesversorgung beauftragt, die notwendigen Vorbereitungsmassnahmen zur Bewältigung einer Strommangellage zu treffen. Der VSE hat dazu OSTRAL, die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen, ins Leben gerufen. Sollte eines Tages eine Strommangellage eintreten, ordnet der Bundesrat Bewirtschaftungsmassnahmen an und OSTRAL setzt sie um. Ende des letzten Jahres haben die Verteilnetzbetreiber im Auftrag der OSTRAL ihre Grossstromkunden darüber informiert, wie sie sich vorausschauend auf eine mögliche Strommangellage vorbereiten können.
Wie wahrscheinlich ist eine Strommangellage?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat 2020 die nationale Risikoanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz 2020» publiziert. Eine Strommangellage wird darin als grösstes Risiko betrachtet – noch vor einer Pandemie und dem Ausfall des Mobilfunknetzes. Gemäss dem Bericht kann eine Strommangellage einmal alle 30 Jahre auftreten.
Welche Massnahmen würden bei einer Strommangellage in Kraft treten?
Sollte eine Strommangellage eintreten, würde der Bundesrat die notwendigen Bewirtschaftungsmassnahmen auf Antrag der wirtschaftlichen Landesversorgung in Kraft setzen. Die Massnahmen sollen das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch auf reduziertem Niveau sicherstellen. Es sind verschiedene Massnahmen mit unterschiedlichen Sparpotenzialen und Konsequenzen für Bevölkerung und Wirtschaft möglich. Für eine Reduktion des Stromverbrauchs können Sparappelle an die Bevölkerung, Verbrauchseinschränkungen, Kontingentierung von Grossverbrauchern und – als letzte Massnahme, die nach Möglichkeit vermieden werden soll – Netzabschaltungen zum Tragen kommen. Für die Lenkung des Stromangebots sind die Massnahmen für eine zentrale Kraftwerksbewirtschaftung und eine Einschränkung von Stromimport bzw. -export vorbereitet.
Was können wir tun, um eine Strommangellage zu verhindern?
Allem voran braucht es einen massiven und viel schnelleren Ausbau aller erneuerbaren Energien im Inland mit starkem Fokus auf die Winterproduktion. Denn in der kalten Jahreszeit drohen uns am Ehesten Engpässe. Doch auch mit einer hinreichenden Selbstversorgung kann eine Strommangellage nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Wenn beispielsweise gleichzeitig mehrere französische AKWs ausfallen, in Deutschland weniger Solar- und Windenergie produziert wird und die Schweizer Wasserreserven knapp werden, kann diese unglückliche Verkettung verschiedener Faktoren eine Strommangellage auslösen. Denn die Schweiz ist eng mit dem europäischen Stromnetz verbunden. Eine gute Stromzusammenarbeit mit Europa ist deshalb zentral. Es braucht eine langfristige politische Lösung, ein Stromabkommen. Keines zu haben, schadet unserer Importfähigkeit und der Netzstabilität.
Gab es bereits vergleichbare Situationen – schweiz- oder europaweit?
In der Schweiz nie. Im vergangenen Jahr gab es im Süden der USA wegen schweren Winterstürmen eine schwierige Situation. Hunderttausende Haushalte mussten zeitweise ohne Strom auskommen. Strommangellagen aufgrund von einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage können nirgends völlig ausgeschlossen werden. Wichtig ist deshalb, dass wir die Vorkehrungen treffen, die das Risiko minimieren. Neben einer ausreichenden Eigenversorgung gehört dazu, unseren Netzen Sorge zu tragen und deren Resilienz sicherzustellen. Die Anbindung an das europäische Verbundsystem ist dabei zentral. Das texanische Netz ist nicht in das amerikanische Netz eingebunden und konnte im vergangenen Winter auch nicht auf das Verbundnetz zählen, um das System zu stabilisieren.
Wie stehen die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
OSTRAL ist beauftragt, Massnahmen für den Fall einer Strommangellage in der Schweiz zu definieren. Die Schweiz ist auf den Krisenfall vorbereitet. Wie es um die Krisenvorbereitung im Strombereich in anderen Ländern steht, ist uns nicht bekannt.
Wie kann ich mich als Privatperson auf eine mögliche Strommangellage vorbereiten?
OSTRAL trifft ihre Vorbereitungen primär in Zusammenarbeit mit Unternehmen der Strombranche – also Stromproduzenten und Verteilnetzbetreiber. Sparappelle an die Bevölkerung sind jedoch Teil der Massnahmen. Jede Person kann im Krisenfall also dazu beitragen, dass wir die Situation unter Kontrolle bringen. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung hat auf seiner Webseite hilfreiche Spartipps für einen Energiemangel zusammengestellt.
Weiterführende Informationen für Unternehmen (Grossverbraucher) finden Sie auf der Website der OSTRAL, der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen.
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