Vom Landwirt zum Energiewirt
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10 Minuten
28.11.2024

Aus einem Traum wird Realität: Die Familie Bütikofer versorgt mit ihrer Energyfarm rund 400 Haushalte mit nachhaltiger Wärme. Ein Blick hinter die Kulissen eines bemerkenswerten Projekts.

Das geschulte Auge des Fotografen gleitet aufmerksam über das weite Gelände. Sein Blick bleibt an einem grossen Haufen zerkleinerter Holzstucke hangen, die sich wie eine Pyramide in der kühlen Morgenluft erheben. «Können Sie sich bitte gleich vor den Holzpellets positionieren?» Walter Bütikofer huscht ein Lächeln über die Lippen. «Das sind Holzschnitzel. Pellets sind industriell verarbeitet, unser Produkt hingegen nicht.» Die Sonne wirft ihre ersten zurückhaltenden Strahlen über das Areal, als der 59-Jährige einen Schritt auf die Holzschnitzel zu macht. Dieses unscheinbare Material spielt eine zentrale Rolle im Fernwärmeverbund der Energyfarm AG im bernischen Kirchberg. Denn es sorgt dafür, dass gegen 400 Haushalte in der Region mit wohliger Wärme versorgt werden.

Ein Abschied steht am Anfang

Doch der Reihe nach. Zunächst scheint bei den Bütikofers alles seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Vor 33 Jahren übernimmt Walter Bütikofer den Landwirtschaftsbetrieb seines Vaters und führt diesen in der dritten Generation fort. Er tut das mit Begeisterung, doch im Kopf reift ein anderer Traum: heizen mit Holzschnitzeln. Eine Velotour bei seinem Onkel im Kanton Waadt steht dabei am Anfang. «Als ich eine neu gebaute Holzschnitzelheizung einer Kaserne besichtigen durfte, wusste ich: ‹Das will ich auch einmal haben›», erklärt Bütikofer. Als 1990 die Öl-Holz-Heizung des elterlichen Betriebs an das Ende ihrer Lebenszeit gelangt, nutzt er die Gelegenheit und überzeugt seinen Vater, auf Holzschnitzel umzusteigen.

Aus dieser Entscheidung entwickelt sich etwas, das weit über den Familienbetrieb hinausgeht. Als erste Nachbarn anklopfen und Interesse an der Wärmeversorgung zeigen, wird klar: Das konnte grosser werden. Gemeinsam mit seiner Frau Silvia, die sich um die Buchhaltung kümmert, und Sohn Kevin gründet Walter die Energyfarm AG. Heute erstreckt sich das Fernwärmenetz auf über sechs Kilometer Leitungen und versorgt rund 400 Wohneinheiten.

«Leben vom Zins der Natur»

Die Familie bezieht das Holz für die Wärmegewinnung aus den nahegelegenen Wäldern. Ein Teil davon stammt aus dem eigenen, 20 Hektar grossen Wald. «Wir verwenden nur Holz, das für die Bau- oder die Holzindustrie nicht geeignet ist», erklärt Bütikofer. «Viele Leute befürchten, dass der Wald irgendwann abgeholzt werde.» Das sei unbegründet, entgegnet der Landwirt. «In der Schweiz darf nur so viel gefällt werden, wie jedes Jahr nachwächst. Wir leben also vom Zins der Natur.» Diese nachhaltige Praxis macht das Fernwärmenetz nicht nur ökologisch, sondern auch CO₂-neutral. Der regionale Bezug des Brennstoffs sichert ausserdem kurze Transportwege.

Der Ukraine-Krieg hat die Bedeutung solcher regionalen Energielösungen noch einmal verdeutlicht. «Die steigenden Energiepreise und die Unsicherheit der globalen Versorgung haben aus Skeptikern Kunden gemacht», erzählt Kevin Bütikofer, der seit April 2022 voll im Familienbetrieb mitarbeitet. Zuvor war der 32-Jährige als Sozialpädagoge und Polymechaniker tätig, doch die Aussicht, gemeinsam mit der Familie die Zukunft des Fernwärmeverbunds zu gestalten, überzeugte ihn schliesslich. «Wir wollen langfristig und nachhaltig etwas aufbauen, das uns überdauert», betont Kevin Bütikofer.

Doch wie funktioniert der Fernwärmeverbund überhaupt? Durch das Verbrennen der Holzschnitzel in einem speziell dafür kreierten Ofen wird Wasser in einem Tank aufgeheizt. Das Heisswasser transportiert die Wärme über die verbauten Leitungen in die Haushalte, wo dieses zum Heizen und für die Warmwasserzubereitung genutzt werden kann. «Unsere Kundinnen und Kunden zahlen nur das, was sie wirklich verbrauchen. Sie müssen sich keine Gedanken mehr über Ölpreise, leere Tanks oder den Geruch von Heizöl machen», erklärt Walter Bütikofer. Mit einem Touchscreen können die Kundinnen und Kunden die gewünschte Wärme ganz einfach regulieren. Auch die Wartung laufe reibungslos: «Wir greifen aus der Ferne auf das System zu, können die Kundin oder den Kunden rund um die Uhr beraten und meistens schon sagen, wo das Problem liegt», ergänzt Kevin.

Starke Nachfrage nach Kriegsausbruch

Der Ausbau des Fernwärmenetzes verlief in den letzten Jahren rasant. Vor allem nach Beginn des Ukraine-Kriegs musste schnell reagiert werden, da die Nachfrage stark anstieg. «Normalerweise baut man so ein Netz in zehn Jahren, wir haben es in zwei Jahren geschafft», sagt Walter Bütikofer stolz.

Unterstützung erhalt die Familie dabei von der GUNEP AG – einer Tochterfirma der Elektra –, die als Energieplanerin eng in die Projekte eingebunden ist. «Sie berechnen, wie viel Leistung wir für neue Anschlüsse benötigen, und planen die Leitungen mit uns. Es ist eine Zusammenarbeit, die Hand in Hand lauft», erklärt der 59-Jährige.

Noch nicht am Ende der Fahnenstange

Trotz aller Erfolge bleibt die Familie bodenständig. Neben dem Fernwärmeverbund betreibt sie weiterhin Landwirtschaft. Auf ihren 25 Hektar Land halten die Bütikofers Angus-Mutterkühe, Kälber und betreiben Ackerbau. «Für das klassische Bauern habe ich mich nie begeistern können», gesteht Kevin. Doch die Visionen zur Energiewirtschaft seines Vaters überzeugen ihn.

Eine dieser Visionen ist es, das Grundstuck der Energyfarm zu erweitern. Walter Bütikofer träumt davon, dort Wohnraum zu schaffen, der komplett autark mit Strom versorgt wird. «Natürlich wollen wir auch in den nächsten Jahren noch mehr Haushalte an unser Netz anschliessen», sagt Bütikofer. Man habe ihn schon als Tagträumer bezeichnet, «aber aus Traumen entsteht Grosses». So wie einst, als er vom Heizen mit Holzschnitzeln träumte.

«Wir profitieren vom Know-how des anderen»

Interview mit Pascal Peter, GUNEP AG

 

Herr Peter, was macht das Projekt der Energyfarm aus Ihrer Sicht so besonders?

Die Entwicklung von Walter Bütikofer vom klassischen Landwirt zum Energiewirt ist beachtlich. Er hat damit nicht nur den Zeitgeist getroffen, sondern auch seinen Sohn Kevin für das Projekt gewonnen. Besonders eindrücklich ist, dass die Energyfarm in der Gaskrise zur richtigen Zeit eine nachhaltige Heizalternative bieten konnte. Ein weiterer Punkt ist der schnelle Ausbau des Wärmenetzes: Was normalerweise mehrere Jahre dauert, wurde in nur zwei Jahren umgesetzt.

Welche Herausforderungen gab es bei der Planung?

Eine Energieproduktion in einer Landwirtschaftszone bringt gewisse Hürden mit sich. Da mussten wir zahlreiche Bedingungen erfüllen, was die Planung zeitintensiv machte. Trotz der Umstände durch die Energiekrise war die Kundengewinnung eine Herausforderung. Die Menschen davon zu überzeugen, ihr Heizsystem zu wechseln, war aufwendig und brauchte eine enge Begleitung und Beratung.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen der GUNEP und der Energyfarm?

Es war und ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Wir profitieren gegenseitig vom Know-how des anderen. Unser gemeinsames Ziel ist es, möglichst vielen Haushalten in Kirchberg eine CO2-neutrale Wärmeversorgung zu bieten. Walter Bütikofer bringt stets neue, innovative Ideen ein, und zusammen arbeiten wir daran, diese umzusetzen.

Gibt es noch weitere Pläne zur Erweiterung des Wärmeverbunds?

Ja, es gibt Erweiterungspläne. Künftig werden sicher noch weitere Haushalte angeschlossen, sofern es wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Vision der Familie Bütikofer geht noch weiter: Sie strebt eine gesamtheitliche Energieversorgung.

Autor*in Gabriel Vilares, Fotos: Conrad von Schubert
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